ALCEST – Les Chants de l’Aurore (2024)
(8.972) Stephanie (10/10) Post Black Metal
Label: Nuclear Blast
VÖ: 21.06.2024
Stil: Post Black Metal
Stelle dir folgendes Szenario vor:
Du besuchst deinen liebsten Freizeitpark. Du kennst die Fahrgeschäfte, freust dich auf einen tollen Tag dort. Die Betreiber haben keine Mühen gescheut eine neue Achterbahn im Park zu erbauen und heute ist die Eröffnung. Achterbahnen sind voll dein Ding. Du stellst dich an, setzt dich in freudiger Erwartung in den Wagen, fährt ganz sanft los…und plötzlich wird dir der Boden unter den Füßen weggerissen, du wirst beschleunigt und abgebremst und in ein helles Licht katapultiert. Du hast mit vielem gerechnet, aber nicht dieser wilden Fahrt. Die Endorphine tanzen in deinem System, eine Welle an Gefühlen spült über dich hinüber. Und am Ende fragst du dich enttäuscht „Was, schon vorbei?“ und stellst dich erneut an.
Genau diese Achterbahnerfahrung hat das neue Album „Les Chants de l’Aurore“ von Alcest in mir ausgelöst. Egal ob man zum Altar der eigenen Hochzeit mit dem Song „Komorebi“ schreitet oder auf einen Roadtrip im Sommer dem Sonnenuntergang entgegen mit „Flamme Jumelle“ in den Ohren, Alcest haben es gemeistert harte Metalelemente und soften Rock, ja popige Shoegaze Musik so zu vereinen, dass es die Seele berührt. Mit „Les Chants de l’Aurore“ zu Deutsch „Die Lieder der Morgenröte“ wurde wieder ein Meisterwerk von Neige auf den Markt geworfen, das seines gleichen vergeblich sucht – außer vielleicht in der vorherigen Diskographie von Alcest.
Die Songs fangen klein an, und bauen sich immer weiter auf bis zu einer gewaltigen Klimax. Selbst wenn man keine spirituelle Person ist, spürt man dieses Knistern und die Einzigartigkeit jedes Songs. Durch und durch fühlt sich dieses Album positiv und passend zum herannahenden Sommer an. Alcest bleiben sich in ihrem Stil treu und erfinden sich dennoch neu. Während die vorherigen Alben überwiegend drückend und nachdenklich gestimmt haben, durchdringt einem fast jeder Song mit Wärme und Aufschwung. Ein klein wenig, aber wirklich nur ein bisschen sticht hier „L'Enfant de la Lune“ durch seine härtere Gangart heraus – wohl passend zum Namen (Mond, Nacht, Dunkel). Wenn man sich aber dann wieder die Lyrics, die Poesie auf hohem Niveau ist, durchliest, stellt man fest, dass der Titel gar nicht so düster ist, wie er vielleicht klingen mag.
Das Album assoziiere ich mit Neuanfang, Wiedergeburt, Aufbruch oder auch aus dem Winterschlaf erwachen. Ich glaube, dass viele von uns genau diese Gefühle für ihren Lebenssinn gerade suchen und brauchen. Umso schmerzlicher fühlt sich auch der, Überraschung letzte Song des Albums „L’Adieu“ an. Man wünscht sich zwar, dass die Achterbahnfahrt länger ist, aber diese fast 44 Minuten, die das Album in seiner Länge umfasst, ist absolut rund und über das technische Finish müssen wir gar nicht reden.
Der Name ist hier absolut Programm – in diesem Album geht nicht nur die Sonne auf, sondern auch mein Herz und beim ersten Durchhören habe ich etwas weinen müssen vor Anmut.
Alcest lassen sich nicht in eine Schublade stecken und beweisen trotz fünfjähriger Wartezeit seit dem letzten Album, dass sie sich auf ihre eigene Weise treu bleiben und weitere, großartige Kapitel in ihrer langen musikalischen Karriere schreiben.
Anspieltipps: “Flamme Jumelle”
Bewertung: 10 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Komorebi
02. L’Envol
03. Améthyste
04. Flamme Jumelle
05. Réminiscence
06. L’Enfant de la Lune
07. L’Adieu