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Live on Stage-Report: RAMMSTEIN
04.06.2022 – Berlin @ Olympiastadion
3 Jahre lagen die Tickets nun bei uns rum und so richtig hat man nicht mehr daran geglaubt, den livehaftigen Gegenwert für diese in Gold gepressten Pappen zu erhalten. Doch, oh Wunder, als gegen 20:30 Uhr die ersten Takte von „Armee der Tristen“ aus der überdimensionalen PA wummerte, war es klar: RAMMSTEIN sind zurück und das Heimspiel konnte angepfiffen werden. Aber der Reihe nach.
Ich habe die Band seit 1994 mehrfach gesehen und deren Aufstieg quasi miterleben dürfen. Vom kleinen Club über die große Bühne hin zu Megahallen-Events und nun also Stadion. Was kommt danach? Der Mond? Aber dazu komme ich später noch zurück.
Die Vorfreude in meinem Haus war jedenfalls gigantisch, denn für meinen Sohn sollte es der erste Ausflug in die Welt von Lindemann und Co. werden und auch meine Frau, die letztmals in Roskilde 2002 das Vergnügen der Stakkato Beschallung hatte, war schon Tage vorher hibbelig. Lediglich meine Wenigkeit war etwas skeptisch, ob das alles so funktionieren würde. Somit versuchte ich, mich mit einem guten indischen Essen und diversen Bierchen vorher in Schwung zu bringen, was nur bedingt gelang.
Bevor wir allerdings Musik zu hören bekommen sollten, genossen wir, dank des 9€ Tickets, das Leben in vollen Zügen, wurden mit der Masse an Menschen zum Einlass geschoben und holten uns erstmal zwei Bierchen in der Liter Version für 30€. Hui, war ich doch schon in Finnland beim Tuska gelandet, statt in der Heimspielstätte meiner Hertha? Nein, das Pfand betrug 3€ pro Becher, klar kalkuliert, dass niemand die Dinger je wieder an ihren Ursprungsort zurückbringen würde. Was für eine Einnahmequelle!
Natürlich bestanden weite Teile des Publikums aus Menschen, die noch nie zuvor ein Open Air besucht hatten und dementsprechend dachten, man befinde sich in der Staatsoper unter den Linden.
Durch das normale Geschubse und Gedränge schwappt halt der Gerstentee schon mal über, doch dann gleich mit Ordnern, den berittenen Oberförstern zu drohen, ist assi sondergleichen und wurde von mir mit ein paar „Knie-gegen-Rücken“ Choreographien während der später stattfindenden musikalischen Darbietung gewürdigt. Weiter im Text.
Um 19:30 Uhr gab es dann das Vorprogramm, was man als solches nicht bezeichnen kann. Vorab muss erwähnt werden, dass es als Konserven-Beschallung die ganze Zeit Rammstein Songs und Videos gab, was in meinen Augen maximaler Narzissmus ist und nicht unbedingt von Originalität zeugt. Ebenso wenig wie das uninspirierende Geklimper des französischen Klavierduo Jatekok, welches mir ebenso maximal auf die Ketten ging, wie die beiden Deppen, die hinter mir standen und permanent was von „Scheiß Olympiastadion, Union…Uniooooon“ brüllten. Freunde, kauft euch ein paar Dosen Sternburg Export, hockt Euch in den Mauerpark oder bleibt einfach gleich zuhause, wenn ihr alles so scheiße findet. Und das Euer Team die Euroleague in unserem Stadion spielen werdet, habt ihr wohl ganz vergessen, oder? Vollidioten…
Ja, ich gebe zu, dass meine Laune gegen 20:25 Uhr ziemlich gen Null tendierte, mein Bock und mein biergestählter Alkoholpegel immer weiter sank, doch als es dann tatsächlich losging…ja, da packte es mich doch. Diese überdimensionale Bühne wirkt schon etwas merkwürdig, aber ebenso einschüchternd und sollte erst bei einsetzender Dunkelheit ihre gesamte Wirkung und Effektivität entfalten. Der Sound war klasse, die Band routiniert, wobei Paul Landers auf der Bühne herumtobte, als sei er versehentlich bei Sick of it all gelandet. Auch Lindemann war gut bei Stimme und merkwürdigerweise funktionierten gerade die Songs am besten, die ich im Vorfeld als Rohrkrepierer ausgemacht hatte: „Zick Zack“, „Links 2-3-4“ oder „Mein Herz brennt“ als Beispiel zu nennen. Mein erstes Highlight war „Zeig dich“, den ich auf Platte eher solala fand, mich aber live sofort abholt. Ebenso überragend war „Puppe“, der düster, böse und mega aggro rüberkam. Warum man allerdings „Heirate mich“ aus der Rumpelkammer geholt hat, erschließt sich mir einfach nicht, bei dem Fundus an überragenden Stücken, die die Berliner vorzuweisen haben.
Bis dahin war alles in Ordnung, auch wenn spektakuläre Highlights fehlten und alles verdammt nach öder Routine roch. Das Publikum ging mit, alle klatschten, feierten und mein Sohn hatte spätestens nach „Sehnsucht“ seine Stimme komplett eingebüßt. Dann sollte mein Highlight Teil mit 6 meiner favorisierten Songs kommen…und ich wurde bitterlich enttäuscht. Das begann schon mit „Zeit“, in meinen Augen einer der besten Rammstein Songs der letzten 15 Jahre…der live ÜBERHAUPT nicht funktioniert und zündet, ebenso wie „Deutschland“, bei dem man durchaus ein paar Pyros zur Untermalung hätte einsetzen können, um die Wirkung noch ein wenig zu verstärken. „Radio“ hingegen war stark, ebenso wie „Mein Teil“, wobei sich allerdings der angezündete Flake mittlerweile auch ein wenig überholt hat und man durchaus darüber nachdenken könnte, diesen Song mal etwas weniger inflationär einzusetzen.
„Du hast“ und vor allem das überragende „Sonne“, bei dem sämtliche sich noch in Deutschland befindliche russischen Gasvorkommen verballert wurden, beschlossen den ersten Teil des Konzertes, bei dem man noch erwähnen muss, dass der „Deutschland“ Remix von Kruspe und die Deichkind-artige Bühnenperformance absolut peinlich und überflüssig war, obwohl auch hier das „fachkundige“ (höhö) Klatschpappen Publikum feucht wurde oder einen Harten in der Hose bekam.
Eigentlich war jetzt meine Zeit zum Bierholen, einkaufen, Essen gehen gekommen, denn „Engel“ ist in meiner Hate-List der 20 von mir am meist gehassten Songs ganz weit oben. Allerdings war die Piano Version, die man auf einer kleinen Bühne unterhalb der Haupttribüne darbot, sehr geil gemacht und die Lichter der tausendfach eingeschalteten Handykameras vervollständigten das Bild. Auch sollte ich erwähnen, dass die Einbeziehung der im Olympiastadion vorhandenen Dachbeleuchtung perfekt in das Bühnenbild eingearbeitet wurde und für so manchen Gänsehaut Moment verantwortlich war. Nachdem man mit mehreren von den Fans getragenen Schlauchbotten wieder auf der Hauptbühne angekommen war, gab es „Ausländer“, „Du riechst so gut“, der ebenfalls live eine ganz andere Durchschlagskraft, als auf Konserve hat und „Pussy“, bei dem natürlich stilecht ein stählerner Phallus weißen Schaum in die vordere Reihe verschoss. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
Der zweite Zugabenblock wurde mit dem selbstbetitelten Song eröffnet, nach dem mit „Ich will“ tatsächlich ein grandioses Highlight folgte, bei dem JEDER mitsang und die Hände nach oben riss und der für mich größte Gänsehautmoment überhaupt: „Adieu“. Überragend gespielt, toller Text und der perfekte Abschluss eines perfekt choreographierten Konzertes, welches so in dieser Form nur von Rammstein kommen kann. Und ja, Lindemann hatte noch was zu sagen: „Zuhause ist es immer noch am schönsten“. Der donnernde Applaus der zumindest in Berlin Ansässigen war ihm somit sicher. Was bleibt von diesem Abend?
Meiner Ansicht nach haben sich Rammstein mit diesem Konzert, welches durchaus seine Highlights, aber auch seine schwachen Momente hatte, selbst abgeschafft und so gut wir überflüssig gemacht. Ehrlich, einmal Stadiontour reicht vollkommen und zu toppen wird das nie mehr sein. Ich habe irgendwo mal was von 130 Millionen Netto Reingewinn gelesen, dass sollte für einen angenehmen Lebensabend durchaus zur Genüge reichen. Ich empfand den Abend als durchaus gelungen, mehr aber auch nicht und ich bin aus dem Olympiastadion gegangen mit der Gewissheit, heute letztmals Rammstein live gesehen zu haben, denn noch einen draufsetzen werden die Berliner in diesem Leben nicht mehr…oder doch?
SETLIST
Armee der Tristen
Zick Zack
Links 2-3-4
Sehnsucht
Zeig Dich
Mein Herz brennt
Puppe
Heirate mich
Zeit
Deutschland
Radio
Mein Teil
Du hast
Sonne
-------------------------
Engel
Ausländer
Du riechst so gut
Pussy
-------------------------
Rammstein
Ich will
Adieu