3 EINZELKINDER MIT GROßEN EGOS
Ja, Slayer waren schuld! Als 1986 ”Reign in blood” nicht nur meine musikalische Welt auf den Kopf stellte, musste es ab diesem Zeitpunkt immer härter, schneller und räudiger sein. Nichts Poliertes mehr, sondern Dreck, Mief und zum Teil auch klingender Dilettantismus. Da kamen dann auch schon Messiah im gleichen Jahr um die Ecke und schmirgelten mir mit "Hymn to Abramelin" die Gehörgänge glatt. Gleiches passierte ein Jahr später mit "Extreme cold weather" , welches irgendwie noch eine Spur räudiger war als der von mir so hoch verehrte Vorgänger, mit einem zum Grinsen animierenden Cover begeisterte und welche beide bis heute einen festen Platz in meiner Vinylsammlung einnehmen.
Der ”Schock” saß dann tief, als die Eidgenossen 1991 mit “Choir of horrors” ein schnödes Todesblei Album veröffentlichten, welches neben einer runderneuerten Crew, von denen nur noch Bandgründer Brögi mitwirkte, nicht mehr die rüpeligen, sondern die weiterentwickelten Messiah zeigte, die zwar nicht schlecht waren, aber im Gros der massigen Bands zu damaliger Zeit ein wenig unterzugehen drohten. Die beiden Nachfolger waren dann auch noch gut, doch 1994 war dann Sense und still ruhte der Schweizer Bergsee. Da konnten auch die ab 2004 veröffentlichten Demos, Videos und Compilations nichts mehr ändern.
2018 allerdings gab es ein fulminantes Lebenszeichen in Form eines Livealbums, auf dem man Songs und ”Choirs” und ”Rotten perish” zum Besten gab und sich bei mir die Hoffnung regte, mal wieder was Neues von Messiah zu hören zu bekommen. Und in diesem September ist es nun soweit und mit "Fracmont" erscheint ein Album, auf dem die Schweizer all ihre eigenen Einflüsse zu einem spannenden und hochgradig anregenden Album vereint haben, welches unseren Patrick zu Jubelstürmen hinriss. Viel Stoff, um sich Drummer Steve zu schnappen, der zusammen mit Brögi, Frugi und Andy Kaina in der kompletten 90er Besetzung dieses grandiose Machwerk eingetütetes hat, und ihn mit Fragen zu bombardieren. Kleine Anekdote am Rande, die mich zum schmunzeln brachte: Unsere verwendete Schriftform für alle Artikel ist Helvetica. Höhö...
Steve, 26 Jahre hat man von Euch nichts oder sehr wenig gehört oder gesehen. Nun sucht Ihr Euch so eine gar beschissene Zeit aus, um mit „Fracmont“ wieder ins Rampenlicht zurückzukehren. Da liegen Freud und Leid ganz nah beieinander, oder?
Auf jeden Fall, aber diese momentan andauernde Krise und die verbundenen Einschränkungen hat sich wohl keine Band wirklich ausgesucht. Wir waren ja Ende 2017 schon der Meinung, es mal wieder zu probieren, was an der Anfrage eines Kumpels lag, der uns bat, auf seinem kleinen Festival so zum Spaß ein paar Songs zu spielen, doch daraus wurde gleich ein 50 Minuten Set (grinst). Für uns war das ein Test, ob uns das überhaupt noch anfixt und ob es überhaupt noch Spaß macht, was es tat. Anfang 2018 entschieden wir uns ganz bewusst für ein neues Album und auch für weitere Liveaktivitäten. Also so ganz überraschend kam es nicht, jedenfalls nicht für uns (lacht).
Es hat sich aber dann doch alles ein wenig in die Länge gezogen, da wir alle eine normale Arbeit haben und die ganzen Termine erst einmal auf die Kette bekommen mussten. Dummerweise kam uns nun Corona in die Quere, nachdem die Veröffentlichung bereits feststand. Aber dennoch haben wir eine Menge Freude momentan.
Nicht nur Ihr, auch unser Patrick hat Euch und das Album weit über den grünen Klee gelobt und auch ich gehe da mit, denn Messiah anno 2020 hat alles in sich vereint, was sie früher zur Kultband hat werden lassen. Viele Thrash Elemente, auch schöner Todesblei, aber dennoch immer ein wenig progressiv. Wie würdest Du persönlich Euren aktuellen Sound umschreiben?
Hm, eine gute Frage. Death Thrash mit starken NWOBHM Anleihen vielleicht. Brögi ist ein absoluter oldschool NWOBHM Fan und er schreibt halt die Riffs. Nicht, dass mir das nicht gefallen würde, aber diese Einflüsse kommen ganz klar von ihm. Die ersten beiden Scheiben waren rumpelig und teilweise auch chaotisch, hatten aber auch immer eine gewissen Kultfaktor und wer weiß wie sie geklungen hätten, wenn man die heutige Technik damals schon gehabt hätte. Das war schon in der Tradition von Venom oder Hellhammer, aber immer mit Herz bei der Sache und vielen Extremen. Manchmal wollte man schneller spielen, als es die eigenen Fertigkeiten zuließen (lacht). Diese Zeit hat uns geprägt.
Mittlerweile haben wir und vor allem meine Wenigkeit seit den Neunzigern ein wenig mehr Struktur reingebracht, weil gerade ich die Songs und deren Abläufe verstehen und zählen mag, Brögi ist da mehr der Bauchmensch und da gehen teilweise Sachen nicht auf, die ich dann mit ihm zusammen geraderücke, damit es irgendwo auch passt. So haben wir damals wie auch heute gemeinsam die Songs im Proberaum geschrieben.
Was mich beeindruckte war der Umstand, dass Ihr Euch tatsächlich in der kompletten Besetzung von 1990 wiedervereinigt habt und keiner ausgeschert ist. Und bedurfte es bei dem einen oder anderen doch gewisser Überredungskünste?
2003 hatten wir ja schon quasi eine Reanimation Messiahs gemacht, haben in der Schweiz und beim With full force jeweils eine Show gespielt wussten da aber bereits im Vorfeld schon, dass wir das nicht weiterverfolgen würden. Andy Kaina lebte zu dem Zeitpunkt noch in Mexiko und anschließend in Spanien und da wäre es gar nicht machbar gewesen. Selbst bei diesen Konzerten war es fast unmöglich, mit ihm zu proben und dennoch haben wir das irgendwie hinbekommen. Wir hatten jedenfalls eine Menge Spaß, verloren uns dann aber doch wieder ein wenig aus den Augen, sahen uns nicht sehr häufig und dann kam die oben erwähnte Anfrage.
Mittlerweile kommen aber so langsam jeden seine kleinen Mätzchen wieder hervor, die man von damals noch kannte und das macht es nicht unbedingt einfacher, hahaha. Wir sind halt mittlerweile doch etwas älter geworden, haben unsere eigenen Köpfe und sind drei Einzelkinder in der Band (lacht). Das macht Diskussionen etwas schwieriger, da wir alle große Egos besitzen. Es artet nicht in Streit aus, aber wir diskutieren oder schreiben dann schon etwas heftiger, raufen uns dann aber sofort wieder zusammen. Uns ist allen wichtig, dass wir Messiah wieder vorantreiben können und da gibt es halt ab und an auch Meinungsverschiedenheiten, das ist doch vollkommen normal. Aber es ist toll, dass wir vier das wieder zusammen durchziehen, denn erwartet hatte ich das irgendwie nicht (grinst).
Laut der Pilatussage wurde der Leichnam des in Rom abtrünnig gewordenen Pontius Pilatus, in einen See bei Luzern, hoch oben auf einem Berg…dem “Fracmont” geworfen.
Dort kam der böse Geist allerdings nicht zur Ruhe und trieb es gar schrecklich mit den Menschen. Er brachte den See zum Überlaufen, beherrschte den Wind, das Wetter und schickte Lawinen ins Tal.
Von einem, in magischen Künsten erfahrenen Schüler, konnte der ruhelose Geist schließlich bezwungen werden. Seitdem darf er einmal im Jahr, an Karfreitag den See für eine kleine Wanderung verlassen und somit sieht man ihn dann auch heute noch dort am Ufer des Bergsees sitzen, wo er verzweifelt versucht seine blutbeschmierten Hände zu waschen. (Dank an Patrick für diese hervorragende Recherche)
Wie kamt Ihr auf die Idee, dieses Thema lyrisch und musikalisch umzusetzen?
Brögi selbst hat sich vor ein paar Jahren aus dem Flachland zurückgezogen und wohnt direkt unter dem Pilatus (ein Berg südlich von Luzern), in knapp 1.000 Metern Höhe in einem Tal mit seiner Familie in seinem selbst erbauten Haus. Dort herrscht ein sehr katholisches Umfeld vor und Brögi selbst hat mit Religion gar nichts am Hut, trifft aber immer wieder auf Konversationen mit dem dort Alteingesessenen und von daher war klar, dass das kirchliche Thema, was wir bei Messiah immer irgendwie behandelt haben, mit einfließen wird. Diese Geschichte oder Sage an sich kannte ich überhaupt nicht, fand sie aber sofort megacool, spannend und las sie sofort nach.
Wird Brögi jetzt vielleicht aus dem Kreis der Tal Bewohner ausgeschlossen, nachdem er das Thema vertont hat?
(lacht) Nein, das glaube ich wirklich nicht. Er vertritt als Atheist immer konsequent seine Meinung und die kennen ihn auch alle als Brögi, den Metaller, den Verrückten. Der ist bekannt, wie ein bunter Hund (lacht). Er scheint auch dort sehr beliebt zu sein, ist in einem Heimatverein dabei und wurde mit der gesamten Familie dort sehr gut integriert.
Ich empfand es als recht wagemutig, mit dem Titeltrack gleich den mit knapp 10 Minuten längsten Song als Opener auszuwählen. Könnte sich der Zuhörer dadurch nicht ein wenig überfordert fühlen? Wie kam diese Entscheidung zustande? Auch mit hitzigen Diskussionen?
(lacht laut) Ohja, die gab es in der Tat. Das Intro mit dem Kinderchor, ähnlich wie bei „Rotten perish“ war gesetzt, denn wir haben unsere Platten immer mit Bombast eingeläutet. Die Debatten des folgenden Songs waren dann schon zeitintensiver. Das ging hin und her. „Singularity“ stand auf dem Zettel, so gleich ohne Vorwarnung in die Fresse, als Beweis, dass es die alten Säcke noch draufhaben. Doch irgendwann fiel die Entscheidung, dass Konzept des Albums gleich zu Beginn in den Vordergrund zu stellen. Dazu der epische Mittelteil, ebenfalls mit Chören und wir fragten uns, ob das ankommen würde. Wir jedenfalls finden das total geil und stehen total dahinter. Auch die Presse ist voll des Lobes, aber das es mutig war, da stimme ich Dir zu.
Auf jeden Fall bietet „Fracmont“ viel Abwechslung. Orchestrale Parts, Chöre, Death, Thrash aber immer so eingesetzt, dass man die Wurzeln von Messiah immer noch gut raushören kann. Wie wichtig war es Euch beim Komponieren, nicht die Anfänge zu vergessen?
Wir fingen einfach an zu schreiben und haben auf die Wurzeln tatsächlich erst geachtet, als wir erstmals die Riffs von Brögi gehört hatten. Er hat so dermaßen viele Sachen aufgenommen, ist fast explodiert vor Ideen und hat das erstmal ganz alleine mit einem Klicktrack aufgenommen. Als wir diese Fragmente erstmals hörten, dachten wir uns: Geil, das klingt ja wie 1990! Ich bin ja der Meinung, dass die den Brögi 1990 eingefroren und nun wieder aufgetaut haben (lacht). Er scheint da eine gute Rezeptur gefunden zu haben. Er kümmert sich nicht um Dinge, die um ihn rum passieren, hat sich auf keine andere Band in den letzten 26 Jahren als Inspiration konzentriert, sondern zieht einfach unbeirrt sein Ding durch. Das ist ein Trademark von Messiah. Und ja, auch wir haben letztendlich eine Menge Einflüsse auch von den ersten beiden Alben wiederentdeckt.
Für die Produktion habt Ihr ja den kleinen Dienstweg gewählt und die Scheibe bei VO Pulver in seinem Little Creek Studio eingezimmert.
Wir haben die Scheibe gemeinsam produziert. Ich bin ja mit VO schon viele Jahre seit Carrion und Poltergeist Zeiten befreundet und spiele mit ihm zusammen auch noch bei Gurd seit 10 Jahren. Wir sind richtige Buddies und dementsprechend schlug ich ihn vor. Er ist sehr angenehm im Umgang und ich fühle mich dort einfach wohl, wenn ich beispielsweise meine Drums einspiele. Die Nähe ist auch wichtig, denn wir mussten das Album in zwei Sessions aufnehmen und da ist ein kurzer Anfahrtsweg schon hilfreich. Wir hatten so viel Material und konnten uns das für eine Session einfach nicht alles merken, man wird halt älter (lacht). Und es ging auch wegen unserer Jobs einfach nicht anders. VO hat ja auch zwischen 1987 und 88 bei Messiah live ausgeholfen, als Brögi kurzfristig ausgestiegen war.
Das Endergebnis sollte Euch aber mehr als zufrieden gestellt haben.
Definitiv! Wir haben ihm anfangs mit auf den Weg gegeben, dass wir die Produktion ein wenig dreckiger, erdiger haben wollten. Daraus folgerte auch eine kleine Diskussion, denn er wollte an meinem Drumsound rumschrauben, wogegen ich mich gewehrt habe, denn es sollte so klingen, wie ich es gespielt habe. Klar ist es mit Klick eingespielt, dennoch gibt es ein wenig mehr Leben in die Produktion. Wir haben da einen guten Mittelweg gefunden.
Mein Lieblingssong auf dem Album ist ja „Throne of diabolic heretics“, den ich ein wenig als Reminiszenz und Verbeugung vor Celtic Frost empfinde. Oder habe ich mich etwas verhört?
Nicht unbedingt eine Verbeugung, aber ich gebe Dir recht, dass es sich ein wenig nach Frost anhört. Das warf ich auch in die Runde und fragte, ob wir da nicht doch lieber ein anderes Riff nehmen sollten, doch es passte einfach gut zusammen mit den anderen Songs des Albums, von daher haben wir es so gelassen, wie es war. Vielleicht liegen diese Parallelen an der Luft hier in der Schweiz (lacht).
Die Schweizer Szene ist ja sowieso wieder stark im Aufwind, gerade was die alten Bands anbelangt. Erst Ihr, dann hört man ja auch schon seit geraumer Zeit davon, dass von Coroner auch was kommen soll…
Ja sag es doch: Die alten Säcke, hahaha. Ich habe mit Tommy (Drummer von Coroner) gesprochen und ihm geraten, mal langsam den Finger aus dem Arsch zu ziehen, sonst sind wir noch vor ihm fertig (lacht). Die sind ja noch viel länger am Start wie wir. Nun ist es aber doch so gekommen, obwohl sie ja im Herbst fertig sein wollten und ich momentan nicht weiß, wo sie überhaupt stehen. Wir haben uns länger nicht gesehen. Poltergeist haben ja auch aktuell eine echt starke Scheibe am Start, was mich wiederum für VO total freut, da er sich in seine Bands und Projekte immer voll reinkniet, seien es wir, Destruction oder eben seine eigene alte Band.
Was sind Deine Lieblingssongs auf dem Album? Welche haben Dir am meisten Spaß gemacht einzuspielen?
Puuh, ich mag „Fracmont“ sehr, weil er vom Aufbau her eigentlich sehr einfach ist, leicht zu spielen und dennoch eine fette Spannung aufbaut. „Singularity“ ist mal wieder etwas Zackiges für den alten Mann (lacht). „Morte al dente“ und „Children of faith“ sind auch zwei Favoriten von mir, wobei gerade der letztgenannte einen kleinen Maiden-Touch hat, der mir besonders gut gefällt.
Ihr seid mit dem neuen Album bei High Roller Records untergekommen. Ein Label, welches ich sehr schätze und deren Releases mehr als spannend finde. Allerdings hatte ich mir im Falle von Messiah durchaus vorstellen können, dass da eher so ein Branchenprimus wie Nuclear Blast zum Beispiel zugeschlagen hätte.
Wir haben gar nicht bei Labels angeklopft. Brögi arbeitet mit Steffen Boehm und High Roller schon eine ziemlich lange Zeit zusammen. Sie haben ja unsere ersten Platten wiederveröffentlicht und auch die Noise Ära und haben eine extrem geile Arbeit geleistet, da habe ich mich selber von überzeugt. Und was da am Ende bei rauskommt, ist einfach klasse. Als Brögi Steffen dann fragte, ob er die neue Platte machen wolle, war dieser natürlich Feuer und Flamme und bis jetzt haben die Jungs eine klasse Arbeit in der Promo abgeliefert. Die Produkte, die wir bereits in den Händen halten können, sind sehr geil geworden. Toll aufgebaut, mit Poster und allem erdenklichen Schnickschnack, das lohnt sich dann wirklich, das Teil auch zu kaufen und nicht runterzuladen. Es muss einfach mit Liebe und Hingabe gemacht sein und das ist es!
Ich würde den Zwickauern auf jeden Fall wünschen, mit Euch zusammen die Charts zu knacken und ich finde, die Zeichen stehen auf Sturm. Ist Euch das wichtig?
Nee, hahaha. Da haben wir uns noch nie drum gekümmert, aber ich lasse mich gerne überraschen. Ich ziehe immer direkt am Tag des Releases ein Resümee und schaue noch einmal genau darauf zurück, was wir eigentlich geleistet und geschaffen haben. Um ganz ehrlich zu sein hat es mich nie sonderlich interessiert, ob es den Leuten gefällt, sondern empfand meine und unsere Meinung am relevantesten. Wenn wir gute und tolle Reviews bekommen, wie bei Euch zum Beispiel, dann ist das schon klasse und supergeil, auch wenn wir in den Charts landen würden. Ich würde mich und High Roller schon freuen, aber Priorität hat das nicht.
Geht es denn weiter mit Messiah oder kommt wieder eine 26jährige Pause?
Das wäre knapp, denn ich weiß nicht, ob ich das mit 76 noch einmal hinbekommen würde (lacht). Frag am besten Corona (nicht Coroner, hahaha) Wir haben jetzt genügend Zeit, um neue Songs zu schreiben und Brögi hat immer noch einen ganzen Sack voller Ideen auf Lager, so das uns nicht langweilig wird. Von meiner Seite her muss aber erstmal das Livebusiness wieder angekurbelt werden und wir würden gerne spätestens im nächsten Jahr viele Shows spielen und die Platte promoten. Ist zwar ein wenig spät, aber da kann ja keiner was dafür.