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JINJER – Duél (2025)

(9.361) Karsten (9,5/10) Progressive Groove Metal


Label: Napalm Records
VÖ: 07.02.2025
Stil: Progressive Groove Metal







Traditionalisten aufgepasst und Mitglieder der selbsternannten Metalpolizei aufgemerkt: Dieses Album ist nicht für euch. Hier gibt es nichts zu sehen und auch nichts zu hören, also bitte weitergehen! Danke.

JINJER treten mit ihrem langerwarteten neuen Album wieder einmal selbstbewusst jegliche Erwartungshaltung in die Tonne und wollen nach wie vor niemandem gefallen – außer vielleicht sich selbst und ihren Heerscharen an Fans. Alten wie neuen Anhängern wird das Herz aufgehen angesichts der etwas groberen und härteren Mixtur aus stimmungsvoll vertrackten Songs, grandiosen Riffgranaten und vernichtend heftigen Breakdowns, die eine fast schon körperlich spürbare Schwere haben.

Aber eines nach dem anderen. 2021 schlugen JINJER mit dem Vorgänger "Wallflower" ein wie eine Bombe und fanden damit haufenweise neue Fans – und ebenso Kritiker. Seitdem war die Band unermüdlich auf Tour und kündigte vor rund zwei Jahren an, dass das nächste Album anders klingen würde. Neben einem (noch) experimentelleren Sound wurde ein stärkerer Death-Metal-Einfluss angekündigt, der den typisch komplexen und abwechslungsreichen JINJER-Sound bereichern und gleichzeitig weitere Genregrenzen einreißen sollte.

Mit "Duél" liegt das aktuelle Werk nun endlich vor. Und was soll ich sagen? JINJER haben sich in der Tat nicht lumpen lassen und die ungewöhnlich lange Zeit seit dem letzten Album genutzt, um ihren bandeigenen Sound weiterzuentwickeln und abzurunden – und ja, eine gehörige Portion Death Metal ist in einigen Songs deutlich herauszuhören. Aufgrund des Titels und des leider immer noch andauernden Krieges in ihrer Heimat wäre es naheliegend, ein Konzeptalbum zum Ukrainekrieg zu erwarten. Andere Gruppen hätten dies sicher getan, aber nicht JINJER. Doch der Reihe nach.

Mit "Tantrum" verpassen JINJER dem Zuhörer gleich einen brutalen Schlag mitten auf die Zwölf. Kein Wunder, geht es hier doch um soziale Erwartungshaltungen, die der persönlichen Freiheit und Selbstverwirklichung oft im Weg stehen. Neben der musikalischen Prügel und den Seitenhieben auf Traditionalisten und Kritiker sind noch einmal deutliche Djent-Einflüsse herauszuhören, bevor der Song in eine Art "Speed Jazz"-Mittelpart übergeht und dann mit einem Midtempo-Rocker ausklingt. Ein großartiges Intro – und offenbar einer der Favoriten von Sängerin Tatiana Shmayluk.

Das folgende "Hedonist" führt erst einmal in gewohntere Gefilde, zumindest für Fans der Ukrainer. Ein für die Band typischer Song: In der ersten Hälfte durchgehend mit cleanem Gesang vorgetragen, gefolgt vom Wechselspiel aus Klargesang und Growling. Thematisch setzt sich der Song mit einem hedonistischen Lebensansatz auseinander, allerdings nicht in der radikalen Form eines Marquis de Sade. Stattdessen geht es um das Leben im Hier und Jetzt – und das Bestreben, das Beste daraus zu machen, da ein Morgen nie garantiert ist. Im Gegensatz dazu ist "Rogue" eine wütende Anklage gegen Putin und andere blutdürstige, machthungrige Staatsoberhäupter. Musikalisch begegnet uns hier eine vertrackt-technische Abrissbirne der ersten Kategorie, die ihresgleichen sucht.

"Tumbleweed" ist thematisch mit dem Vorgängersong verbunden, betrachtet er doch den Krieg Russlands gegen die Ukraine aus der Sicht eines Vertriebenen, dessen Haus zerstört wurde und der sich nun wie ein heimatloser Steppenläufer durch die Welt treiben lässt. JINJER stammen aus dem Osten der Ukraine, der nach wie vor von russischen Truppen besetzt ist. Musikalisch besticht der Song durch eine orientalisch anmutende Gesangslinie, die sich völlig anders entfaltet als der Rest der Band – und dennoch perfekt ins Gesamtbild passt. Kein Wunder, dass Drummer Vlad Ulasevich diesen Song zu seinen Favoriten zählt.

Mit "Green Serpent" geht es thematisch in eine andere Richtung: Es geht um Alkoholmissbrauch und die damit verbundene Suchtgefahr. Gerade in der trinkfreudigen Metalszene ein oft unterschätztes Thema. Der Song beginnt mit fast jazzigem Lounge-Sound, ehe er in eine typische Midtempo-Jinjer-Abrissbirne übergeht. Eingängige Melodien treffen auf harte Breakdowns und schleppende Riffs, die die bedrückende Thematik perfekt unterstreichen und zum Ende hin in einem vermeintlich friedlichen Ende mit dissonanten Hintertönen ausklingen.

„Kafka“ startet mit einem gewohnt verspielten aber technisch versierten Drumming, das einfach nur Spaß macht und sich schnell in einen stimmungsvollen Song einfügt, der die ersten knapp 3 Minuten mit knackigen Riffs und Klargesang ausfüllt bevor zum Ende noch einmal die Abrissbirne kreist um den Punkt klarzumachen. Inspiriert wurde das ganze von Kafkas „Die Verwandlung“ und Kafkas eigener, sehr verletzbarer Persönlichkeit, die als introspektiv und zurückhaltend beschrieben wurde. Ebenso wie die Sängerin wurde Kafka oft von Selbstzweifeln und Existenzängsten geplagt, die hier musikalisch verarbeitet werden ebenso wie das Lebensgefühl schüchterner und verängstigter Menschen, die oft sehr tiefgründig sein können.

 

In „Dark Bile“ setzen JINJER sich mit dem praktisch allgegenwärtigen Thema Depression auseinander. Ein für die Band und insbesondere die Sängerin bekanntes Thema, das auch in den meisten Songs in Form der melancholischen Melodien herauszuhören ist. Vom schweren Thema einmal abgesehen, ist der Song sehr kraftvoll umgesetzt und macht trotz der inhaltlich schweren Kost beim Zuhören überraschend viel Spaß.

Mit „Fast Draw“ hat man einen temporeichen Ritt vor sich, die Riffs fliegen einem nur so um die Ohren während das einpeitschende Growling einem frontal eins verpasst und das aggressive Drumming auf einen eindrischt. Ein Totalabriss mit Gänsehautfaktor, der sich mit den inneren Dämonen eines jeden auseinandersetzt und dem ewig andauernden Kampf gegen diese. Der Text dazu kam ausnahmsweise von Alex Lopez, dem Ehemann der Sängerin, der bei SUICIDE SILENCE und P.O.D. als Schlagzeuger mit an Bord war bzw. ist.

„Someone’s Daughter“ setzt sich thematisch mit dem alltäglichen Kampf vieler Frauen auseinander in einer männerdominierten Welt einerseits sich selbst treu zu bleiben und andererseits den nötigen Kampfesgeist zu entwickeln um sich in dieser Welt durchzusetzen. Dass viele Frauen diese aggressive Seite ihrer Selbst nicht besonders mögen, diese aber praktisch überlebensnotwendig wird bzw. ist, macht auch diesen inneren Konflikt zur thematischen Basis für JINJER. Dieser melodische und treibende Song steigert nach und nach den Härtegrad während der Gesang zuerst klar bleibt, im Übergang gemischt mit Growls im Hintergrund vor dem Übergang in den harten Teil, der durch brutale Riffs und kraftvolle Growls angemessen aggressiv umgesetzt wird.

Auch „A Tongue So Sly“ setzt sich mit einem bekannten Thema auseinander, das wohl jeder schon einmal selbst erlebt hat: Klatsch, Tratsch und Gerüchte über einen selbst, die hinter dem eigenen Rücken die Runde machen und mit denen man überraschend konfrontiert wird. Die Urheber sind in der Regel nicht an der eigenen Sichtweise interessiert und lassen einen schlimmstenfalls isoliert zurück während sie weiter ihr Unwesen treiben. Heutzutage kann man das insbesondere in den „sozialen“ Medien oft in Bezug auf Personen beobachten, die in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit stehen. Musikalisch wird dies kraftvoll umgesetzt mit teils Death-orientiertem Drumming, teils djentartiger Gitarrenarbeit, bösartigen Growls und bleischweren Hochtemporiffs. Die schon fast obligatorische Umkehrung dieser Zutaten ins jeweilige Gegenteil erhöhen durch den Kontrast die entsprechende Wirkung und tragen so zu der intensiven Umsetzung dieser klassischen Thematik bei.

Der Titelsong „Duél“ ist wenig überraschend ein musikalischer Rundumschlag höherem bis hohem Tempos, der noch einmal so ziemlich alles in die Waagschale wirft was JINJER aktuell zu bieten haben. Schwere Riffbomben wechseln sich ab mit Hochtemporiffsalven, stimmungsvoller Klargesang und abgrundtiefes Growling kämpfen um die Vorherrschaft während der Schlagzeuger einem unerbittlich das Hirn massiert. Inhaltlich geht es hier wieder um den Kampf mit dem ultimativen Endgegner – sich selbst. Egal ob es dabei um das Ablegen ungesunder Angewohnheiten geht, den Kampf gegen den inneren Schweinehund, das Überwinden einer Sucht oder sonstige Veränderungen im Rahmen der idealerweise angestrebten Weiterentwicklung im Laufe des Lebens. Diese negativen Seiten von einem selbst, z.B. auch alte und überholte Glaubenssätze, die einen fesseln und zurückhalten, geben selten kampflos auf und müssen im Rahmen des titelgebenden inneren Duells besiegt werden.

JINJER präsentieren uns hier wie gewohnt eine Achterbahnfahrt der Gefühle, schwere Themen und noch schwerere Riffbomben und eine Ansammlung von Talent, die ihresgleichen sucht. Die Band ist ihren Wurzeln treu geblieben, hat einen nach wie vor hohen Wiedererkennungswert, jedoch ohne sich dabei musikalisch oder kreativ einzuschränken. Genregrenzen sind ebenso wie Erwartungshaltungen fehl am Platze und werden großzügig beiseite gefegt. Insgesamt wirkt das Album gereifter, roher und gleichzeitig eingängiger trotz der gewohnt vertrackten Songs ohne Rücksicht auf althergebrachte Hörgewohnheiten.

Nach wie vor vergebe ich aus Prinzip keine 10 Punkte, da es immer noch eine Steigerung geben kann und wird. Dies gilt insbesondere für eine Band wie JINJER, von denen noch so einiges erwartet werden kann. Insofern bin ich bereits jetzt gespannt und neugierig auf die Weiterentwicklung der Ukrainer und das nächste Werk dieses metallischen Schwergewichts!

Anspieltipps: Alles, da es sich auch diesmal lohnt die musikalische Reise komplett mitzumachen.


Bewertung: 9,5 von 10 Punkten


TRACKLIST

01. Tantrum
02. Hedonist
03. Rogue
04. Tumbleweed
05. Green Serpent
06. Kafka
07. Dark Bile
08. Fast Draw
09. Someone's Daughter
10. A Tongue So Sly
11. Duél



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