MELANCHOLIE, MELODIEN, SUBTILITÄT
Meine Fresse, erst hauen Dawn of disease mit "Procession of ghosts"ihr bestes Album in ihrer 17jährigen Bandkarriere raus, um sich dann kurze Zeit später, trotz scheinbar rosiger Aussichten, aufzulösen und sich unter dem Namen Hiraes mit Frontfrau Britta „Elchkuh“ Görtz neu zu formieren und auszurichten. Ein durchaus nicht einfaches Unterfangen, was einige Fragen aufwarf, die ich mit Gitarrist Lukas Kerk ein wenig näher beleuchten wollte, denn nach unserem letzten Interview schien die Welt im Hause der Osnabrücker ja noch vollkommen in Ordnung…oder gab es da schon Risse im Gebälk?
Das ist gut möglich, denn 2019 war bereits klar, dass wir Dawn of disease so in dieser Form nicht mehr weiterführen würden, hatten aber eigentlich noch die Idee, bzw. die romantische Vorstellung, für unsere Fans noch ein paar Abschiedsshows zu spielen. Wacken war bestätigt, Summer Breeze und ein paar kleinere Shows, doch durch die Corona Pandemie war dann schnell klar, dass es keinen Sinn macht, weiter mit Hiraes, womit wir im Frühjahr 2020 schon in dem Startlöchern standen, zu warten und zu gucken, ob da noch was mit DoD geht. Im September 2020 war dann das offizielle Ende und zugleich der Neustart für Hiraes.
So ganz begeistert schienst Du ja auch nicht von der letzten Tour zusammen mit Manegarm und Einherjer zu sein, vor allem weil Ihr als Opener spielen musstet/durftet. War das auch irgendwie ein Faktor, dass Gebilde Dawn of disease zu hinterfragen?
Die Tour an sich hat eigentlich Spaß gemacht und vielleicht hast Du uns an einem Tag erwischt, wo wir vielleicht etwas gestresst waren, was durchaus mal vorkommen kann (lacht). Manchmal war das bei der Tour vom Timing her etwas ungünstig für uns, was dann wiederum Stress verursachte, um es mal so zu formulieren.
Aber nein, das hat so wirklich nicht mit reingespielt, aber während und nach der Tour kristallisierte sich das immer her heraus, ich will da gar nicht weiter ins Detail gehen. Bestimmte Vorstellungen und Ansichten haben sich da während der Zeit einfach auseinander bewegt und irgendwann konkretisiert sich das und man stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht. Wir haben dann nach einem Gespräch mit allen einfach keinen anderen Weg mehr gesehen, als uns aufzulösen.
Warum aber dieser radikale Schnitt? Ich meine, als Dawn of disease hatte man sich fast 17 Jahre lang einen Namen gemacht, um nun als Hiraes komplett neu anzufangen. Warum habt Ihr nicht einfach unter dem alten Banner weitergemacht?
Du siehst sicherlich ein, dass wir es uns nach so einer langen Zeit nicht einfach damit gemacht haben, die Band aufzulösen und von daher war eine Weiterführung unter dem gleichen Namen zu keiner Zeit eine Option. Schlussendlich war es für alle Beteiligten eine Erleichterung, als die Katze dann aus dem Sack war und wir mit einer neuen Band durchstarten, um somit auch ein wenig den Ballast der Vergangenheiten etwas loszuwerden.
Ich sehe es im Nachhinein aber ähnlich wie Du und finde es durchaus schade, dass wir Dawn of Disease aufgelöst haben, doch ich freue mich gerade umso mehr, dass wir mit Hiraes etwas Neues gestartet haben und eben nicht alte Zöpfe weiterflechten. Ja, es ist wie eine Befreiung und von daher kann ich dem zu guter Letzt doch etwas Positives abgewinnen.
Ein absoluter Hitfaktor und Erfolgsgarant ist sicherlich die Hinzunahme von Britta als Frontfrau. War dieser Schritt geplant oder hattet Ihr ursprünglich etwas anderes im Hinterkopf? Und wie wichtig siehst Du selber den Faktor Britta?
Wir kennen Britta indirekt schon eine ganze Weile. Sie kommt aus Hannover, DoD war in Osnabrück beheimatet und in der Vergangenheit haben wir schon so die eine oder andere Show mit ihrer alten Band Cripper (Das letzte Interview gibt es hier) und ihrer anderen Band Critical Mess zusammen gespielt.
Für uns war nach der Auflösung klar, dass wir weitermachen und eine neue Band an den Start bringen wollten und dementsprechend sprachen und diskutierten wir über mögliche Sänger hierfür. Und ja, es war und ist nicht einfach jemanden zu finden, der in unsere musikalische Sparte reinpasst und uns vielleicht auch einen Schritt weiterbringt. Ich bin ehrlich…wir suchten kein hoffnungsvolles neues Talent, welches noch keinerlei Bühnen- oder Studioerfahrung hat, sondern eher etwas Etabliertes mit Erfahrung, mit Bühnenpräsenz und da kam Britta ziemlich schnell zur Sprache, denn es passte einfach alles. Ihren Gesang fanden wir ebenfalls schon immer cool, also schreib ich ihr irgendwann mal eine E-Mail.
Ich hielt mich darin recht vage und zurückhaltend, doch sie meinte nur, dass sie immer Bock auf Musik habe und wenn es ihr gefällt, dann macht sie es auch. Später konnte ich dann etwas konkreter werden und, siehe da, sie hatte immer noch Bock (lacht). Nach zig Corona Verschiebungen haben wir es dann auch irgendwann mal geschafft, gemeinsam zu proben und stellten schnell fest, dass die Chemie absolut stimmt.
Britta als Erfolgsgarant…hmm…ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, aber sie hat halt schon eine recht große Fanbase und ja, die Idee war dann schon, dass wir von unserer Fanbase ein paar Leute mitnehmen und diese dann mit der von Britta unter einem coolen musikalischen Banner zusammenführen. Wir hoffen natürlich, dass die Leute drauf Bock haben, denn wir haben ihn auf jeden Fall. Der erste Schritt ist gemacht!
Ich finde das übrigens gut, dass Du den Bandnamen jetzt mehrmals ausgesprochen hast, denn ich wusste bis Dato nicht unbedingt, wie man ihn ausspricht (Lautschrift HEIRÄSS). Woher kommt der eigentlich? Im Internet habe ich jetzt keinen Bezug gefunden…
Das ist eigentlich ein walisischer Begriff, der aber etwas anders ausgesprochen wird, ein „th“ am Ende hat und so nicht einfach übersetzt werden kann. (er spricht es aus, ist aber nicht möglich, dieses hier exakt wiederzugeben). Mit dem „s“ am Ende ist es für die Leute etwas einfacher auszusprechen und gleichzeitig hat man damit einen Namen, den es so vorher noch nicht gab.
Die Bedeutung ist recht cool. Im Walisischen steht dieses Wort für Nostalgie, Melancholie, das Festhalten an Orten der Vergangenheit, die aber so gar nicht existiert haben, die Sehnsucht danach. Das reflektiert unsere Musik sehr gut, denn wir haben ja auch recht viel Melancholie, Melodien, Subtilität, was man auf den ersten Moment gar nicht so richtig mitbekommt, uns aber perfekt widerspiegelt und somit großartig zum Gesamtpackage passt. Ein kurzer, einprägsamer Name, der auch auf dem Backdrop geil aussieht (grinst). Ich mag keine Bandnamen mit fünf Worten, wo man den fünften liest und das erste Wort bereits wieder vergessen hat…
Dawn of disease waren ja nur drei…(Gelächter).War das eigentlich von vornherein klar, dass Ihr wieder bei Napalm Records landen würdet? Oder war das noch irgendeine vertragliche Geschichte, die Euch unter dem Banner der Eisenerzer gehalten hat?
Wir hatten natürlich durch DoD die Connection zu Napalm, aber wir mussten schon den offiziellen Weg gehen. Die wollten schon wissen, was wir da überhaupt machen und ob man damit überhaupt irgendwas anfangen kann (lacht). Glücklicherweise fanden sie die Musik aber cool und wollten was mit uns machen. Ja, wir freuen uns, dass wir mit Napalm wieder einen starken Partner an unserer Seite haben, denn einige Leute kennt man ja schon durch die Zusammenarbeit in der Vergangenheit. Es ist eine sehr professionelle Zusammenarbeit du wir fühlen uns wohl und gut aufgehoben. Wir sind ja auch bei Napalm Events und hoffen, dass wir dadurch mehr Booking Möglichkeiten haben, sofern das irgendwann mal wieder richtig losgeht.
Auf jeden Fall machst Du einen total entspannten, lockereren Eindruck als zum Ende von Dawn of Disease hin. Ist Hiraes für Dich wie eine Frischzellenkur? Ein Sprung in einen erfrischenden Pool?
Das ist es auf jeden Fall! Auch beim Songwriting läuft es irgendwie entspannter, wenn man den Ballast der Vergangenheit abstreifen kann. Bei DoD hatte ich immer irgendwie den Zwang in mir, den Bezug zum oldschooligen Schweden Death nicht zu verlieren und habe immer in Hinterkopf gehabt, dass Dieses oder Jenes da noch irgendwie mit reinpassen muss.
Bei Hieras ist es ein Neuanfang und da kann ich als hauptverantwortlicher Songwriter, der ich ja bei DoD auch war, tun und lassen, was ich möchte. Ich kann mich auch mal anderen Klängen öffnen, sonst wären diese kleinen, subtilen orchestralen Parts auf dem Album auch gar nicht vorhanden. Diese Arrangements sind allerdings nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern stammen von meinem guten Freund Jojo von den Go Recording Jovel Tonstudio, der da viel Arbeit reingesteckt hat.
Dieses Gesamtpackage ist einfach sehr schön, frisch, neu und ich fühle mich sehr, sehr wohl damit. Ohne damit die DoD zeit schlechtreden zu wollen, aber ich fühle mich losgelöst du ich lasse mir mit dem Album viele musikalische Türen offen und das habe ich schon bei der Entstehung der Songs gespürt.
Kommen wir zur Musik und ich muss gestehen, dass ich mehr als einmal während des Hörens von „Solitary“ dachte, dass es sich um ehemalige DoD Songs handeln müsste, die keine Berücksichtigung gefunden haben. Ausschuss würde ich niemals sagen, denn dafür sind sie zu gut, aber Parallelen sind noch durchaus vorhanden. Es ging ja auch ziemlich schnell mit Eurem Debüt…
Bis alles in Sack und Tüten war hat es 10 Monate gedauert, aber ehrlich, ich habe wirklich NICHTS recycelt. Ich habe mich hingesetzt und bin mit neuen, frischen Ideen ans Werk gegangen, immer in dem Bewusstsein, dass ich für diese neue Band Songs schreibe. Natürlich kann der Eindruck entstehen, dass hier und da vielleicht ein Riff auftaucht, welches einem schon seit Jahren im Kopf herumspukt, doch das Songwriting war klar auf Hiraes ausgerichtet.
Welches verdammt abwechslungsreich und variabel ausgefallen ist, auch wenn ich an manchen Stellen anfangs doch ein wenig meine Probleme hatte…
Ich versuche stets beim Songwriting darauf zu achten, dass alle Songs abwechslungsreich sind, denn es gibt doch nichts langweiligeres, als wenn ein komplettes Album in einem Tempo heruntergerotzt wird. Natürlich gibt es in diesem Segment auch Alben, die total cool sind, aber für Hiraes im Speziellen finde ich es wichtig, dass die Songs variabel sind, sich das Tempo hin und wieder verändert. Britta findet das alles cool, weil sie sich diesmal bei Hiraes auch ganz anders auslassen kann.
Sie hat einen klaren Cut zu Critical Mass und braucht nicht lange zu überlegen, für welche Band sie nun den Songtext schreibt. Die Thematiken sind vollkommen verschieden und das war uns wichtig, denn stilistisch sind es zwei vollkommen unterschiedliche Bands, obwohl wir uns im gleichen Subgenre bewegen. Diese ganze Abwechslung kann man auch auf Britta zurückführen, denn sie bewegt sich ja nicht nur auf dem tiefen, gutturalen Level, sondern variiert, schreit, flüstert und beim Titeltrack ist, ganz heimlich versteckt, auch ein spoken Part mit drin.
Das ist eine enorme Bandbreite, die uns für die Zukunft noch eine ganze Menge Luft nach oben lässt. Damit meine ich jetzt nicht weltweite Charterfolge, sondern die musikalische Bandbreite. Das nächste Album kann anders sein, ähnlich oder vollkommen neu. Das finde ich spannend, dass ist das, was Hiraes ausmacht.
Damit Ihr Euch ein Bild von dieser spannenden Band machen könnt empfehlen wir Euch am kommenden Freitag und Samstag, den 11. Und 12.06.2021 dem Metal Frenzy Open Air - Streaming Edition Vol.2 beizuwohnen, bei dem Hiraes ihre Bühnentaufe erleben werden. Meine Leinwand wird jedenfalls aufgebaut, so dass man gemütlich mit ein paar Halben derbe abmoshen kann!