Gummibärchen und Sprünge vom Dach
Wenige Bands können heutzutage noch auf eine solch lange und gleichzeitig erfolgreiche Karriere zurückblicken wie die Portugiesen, die als reine Black Metal Band anfingen und sich stetig weiterentwickelten, damit zum Teil alte Fans verschreckten, im Umkehrschluss aber eine Menge neuer hinzugewannen. Mit „Extinct“ haben Moonspell nun ein Album vorgelegt, welches nicht nur Marcus in seinem Review abfeierte, sondern auch bei einigen anderen unserer Redakteure (mich eingeschlossen) für strahlende Gesichter sorgte.
Eine schöne Schnittmenge aus alten, stahlharten Riffs, gepaart mit den dunklen Einflüssen, denen die Jungs von der iberischen Halbinsel ihren nunmehr seit Jahren anhaltenden Erfolg zu verdanken haben, ohne damit allerdings ihre alte Anhängerschaft zu verprellen. Dazu die nun laufende Tour zusammen mit den Griechen von Septicflesh welche ich dazu nutzte, um mit Drummer Miguel ein schönes, ausführliches und informatives Interview zu führen, bei dem sich der Kesselflicker als ausführlicher Gesprächspartner mit Vorliebe für Gummibärchen entpuppte…
Unser Busfahrer ist so großartig. Jeden Tag stehen hier überall frische Gummibärchen und Süßigkeiten rum. Fantastisch! Greif ruhig zu!
Mache ich gerne, danke. Doch kommen wir zum geschäftlichen Teil: 26 Jahre Moonspell, 11 reguläre Studioalben…habt Ihr alle Eure Ziele erreicht, die Ihr Euch zu Beginn Eurer Karriere gesteckt hattet?
Wir sind eine sehr ambitionierte Band und legen sehr viel Wert auf unsere musikalische Weiterentwicklung. Als wir „Wolfheart“ aufgenommen haben, waren wir gerade mal 18 Jahre alt und der Erfolg kam so schnell, dass wir ihn anfangs gar nicht richtig realisieren konnten. So geht es uns aber mittlerweile mit allen unseren Alben. Wir haben uns über die Jahre sehr von anderen Bands beeinflussen lassen wie Type O’Negative, Black Sabbath, Iron Maiden, die sich über den Zeitraum ihrer Karriere ja auch ständig weiterentwickelt haben. Wenn wir nun aber sagen würden, dass wir alle unsere Ziele erreicht hätten, würde das Feuer in uns erlöschen. Nein, wir haben unsere Ziele noch nicht erreicht und versuchen, uns kontinuierlich zu steigern.
Manche Bands haben in meinen Augen dieses Feuer verloren, leben zu sehr in der Vergangenheit und haben den Prozess der Weiterentwicklung irgendwann eingestellt, das wird bei uns nicht passieren. Klar werden wir auch weiterhin Songs unserer ersten Alben spielen, dennoch aber nicht den Fehler machen, zu sehr in der Vergangenheit zu verweilen, denn das wäre ein Stillstand, den wir nicht wollen. Wir wollen nicht irgendwann langweilig werden und uns von Album zu Album steigern, mehr Leute erreichen, an Orten spielen, wo wir bislang noch nicht aufgetreten sind…das spornt uns an. Diesen Spirit haben wir heute immer noch und den wollen wir uns unbedingt erhalten, denn wenn dieser nicht mehr vorhanden sein sollte, können wir auch gleich ganz aufhören. Wir inspirieren uns quasi selber und erhalten uns dieses „gesunde“ Unwohlsein, wenn wir neue Songs performen, das Lampenfieber…das ist uns sehr wichtig.
Dieses Jahr feiert Euer Debüt „Wolfheart“ 20jähriges Jubiläum und viele Bands machen ja mittlerweile zu solchen Anlässen irgendwelche Anniversary Gigs oder Touren. Steht da noch was an?
Wenn man ein neues Album am Start hat, sollte man nicht, wie ich ja bereits sagte, zu sehr in der Vergangenheit verweilen. Wir haben uns für die neue Scheibe den Arsch aufgerissen und werden diese nun so gut wie es geht promoten und von daher bleibt für solche von Dir angesprochene Gigs kaum Platz. Aber dennoch werden wir natürlich „Wolfheart“ angemessen präsentieren, denn da sind immer noch genug Klassiker drauf, die wir live spielen müssen, weil es die Leute auch von uns erwarten, was vollkommen legitim und gut ist, denn wir mögen die Scheibe natürlich auch noch. Du wirst es ja heute Abend erleben.
Dann muss Miguel seine Bandkollegen etwas zur Ruhe bitten, die sich im vorderen Teil des Busses benehmen wie Schüler, die gerade auf Klassenfahrt sind…
Du siehst, wie aufgeregt alle sind, auf Tour zu sein und live zu spielen. Das ist das Feuer, was ich angesprochen habe und hoffentlich nie erlöschen wird.
Ist eine Tour so kurz nach dem Albumrelease nicht ein wenig riskant?
Klar ist es ein wenig riskant, doch wir haben die Tour ja schon geplant, als das Album noch gar nicht fertig war und haben uns damit selbst unter Druck gesetzt, hahaha. Wir zeigen damit den Leuten auch, wie sehr wir hinter dem Album stehen und dieses unbedingt live präsentieren wollen. Moonspell arbeiten halt so und bislang hat das immer super funktioniert. Für uns gibt es nicht Schöneres, als live zu spielen. Nachdem ein Album fertig ist kommt die Promotion, die Fotos, das Video, das kann schon mal langweilig werden, was uns allerdings live nie passieren wird.
Wie haben sich denn die neuen Songs live angefühlt? Wenn man die während der Aufnahmephase schon tausendmal gehört und gespielt hat könnte doch auch die Gefahr aufkommen, dass man sich einige Sachen schon überhört hat, oder?
Es hat sich großartige angefühlt und diese von Dir angesprochene Gefahr besteht zu keinem Zeitpunkt. Es ist ein großer Unterschied, wenn man einen Song schreibt, diesen aufnimmt und dann in seiner Gänze live performed. Viele Bands proben sich kaputt, packen alles was sie haben in einen Song und können diesen dann nicht so rüberbringen, wie sie es eigentlich möchten. Das ist bei uns absolut nicht der Fall! Bei den alten Sachen ist es natürlich anders, denn ein Song, der vielleicht schon 15 Jahre auf dem Buckel hat, spielt man schon fast automatisch , man merkt sofort, wenn irgendetwas schief läuft und weiß auch exakt warum. Bei neuen Songs muss sich das alles noch etwas einspielen, was aber nicht minder spannend und interessant ist.
Bei manchen Songs spiele ich schon komplett automatisch und kann während der Performance an viele andere Dinge denken, den Sinn des Lebens, an alles, was ich in der Vergangenheit getan habe…meinen Einkaufszettel, hahaha. Bei den neuen Sachen musst du fokussierter sein und da wir im Vorfeld sehr viel geprobt haben, sollte das kein großes Hindernis darstellen. Für uns ist es enorm wichtig, zusammen zu proben und nicht einzelne Songfragmente per Internet hin und her zu schicken, wie es heutzutage leider viel zu häufig der Fall ist. Da geht in meinen Augen die komplette Dynamik eines Songs verloren.
In Nimwegen, dem ersten Gig der Tour, haben wir erstmals die neuen Sachen live gespielt und es war absolut fantastisch. Der Sound war großartig, die Anlage fantastisch, das war fast mehr eine Pre-Production als ein Auftritt (lacht). Wir fühlen uns komplett gesegnet, so schnell zu touren und live zu spielen und dazu noch solche Bedingungen in den Clubs vorzufinden…es ist fantatsisch! Das Publikum zollt uns ebenfalls eine Menge Respekt und zeigt uns, warum wir das nach all den Jahren noch machen. Die Stimmung bei uns ist jedenfalls momentan mehr als hervorragend!
Wie groß war eigentlich bei Euch die Freude als Ihr erfuhrt, dass „Extinct“ in Eurer Heimat auf Platz 1 der Charts stürmte?
(ziemlich lethargisch) Riesig! Wir waren komplett überwältigt!
Ich sehe, wie überwältigt Du bist…
Hahahaha….naja, wir hätten schon vom Hausdach springen können vor Freude. Es ist mehr eine innere Freude und Bestätigung für unsere Arbeit. Aber im Gegensatz zum ersten Platz in Portugal hat uns der Charteinstieg hier in Deutschland auf Platz 39 mehr gefreut, da der Markt einfach größer ist und damit der Stellenwert für harte Musik etwas mehr unterstrichen wird. Bei uns zuhause gibt es ansonsten in den Charts lediglich diese Drecksmusik aus den heimischen Soap Operas oder portugiesische Versionen von Julia Iglesias (lacht). Und gerade in dieser Woche, wo wir released haben, kamen in Deutschland eine Menge neuer Scheiben auf den Markt und insofern war das schon ein großer Erfolg für uns.
Dann könnt Ihr ja heute hier vom K17 Dach springen…
Hahaha, mal gucken. In Berlin kann alles passieren…
Wie zufrieden seid Ihr denn selbst mit Eurem neusten Werk? Unser Redakteur Marcus war ja voll des Lobes und sprach von einem Eurer besten Alben Eurer Karriere…
Wir sind mehr als zufrieden, denn gerade während der Pre-Production mit Jens Bogren merkten wir, was für ein starkes Album „Extinct“ werden würde. Die Arbeit in Schweden war eh sehr entspannt, denn Jens sein Studio ist tief in Wald, wir hatten eine Unmenge an Platz und niemand hat uns gestört, was in Portugal niemals der Fall gewesen wäre. Da haben wir unsere Freunde, unsere Familie, die mit Sicherheit permanent bei uns reingeschaut hätten, was den Spirit und den Flow des Albums mit Sicherheit empfindlich gestört hätte.
Wir mögen solche Besuche schon, doch wenn man fokussiert und konzentriert an einem neuen Album arbeitet, sind solche Ablenkungen doch eher unwillkommen. Jens hat uns mit seiner Arbeit definitiv auf ein neues Level gehoben, wofür wir ihm sehr dankbar sind und er hat aus uns allen das Beste herausgeholt, was möglich war…und teilweise sogar darüber hinaus. Er ist super nett und hat uns mehr als weitergebracht. David Castillo hat ebenfalls alles aus den Gitarren rausgeholt, ja, es hat wirklich alles gepasst!
Ist das auch einer der Gründe, weshalb der Sound aus „Extinct“ diesmal wieder etwas härter ausgefallen ist?
Wir hatten da im Vorfeld schon viel innerhalb der Band drüber diskutiert und festgestellt, dass die vorherigen Scheiben zum Teil doch etwas überproduziert waren und wir wieder etwas härter, eingängiger werden wollten. Und wenn man etwas Weniger macht, bekommt man zuweilen Mehr und exakt das war es, was Jens und alle anderen aus den Songs herausgeholt haben. Wir wollten die Komplexität etwas zurückschrauben, damit die Gitarren, die Stimme einfach mehr Platz haben und die neuen Songs brauchen einfach diesen Platz. Mit diesem Background und Jens an den Reglern haben wir dann exakt das geschafft, was wir vorhatten.
Warum habt Ihr eigentlich für Euer erstes Video den Titeltrack ausgewählt? Eingängiger und vielleicht mehr Single-like ist doch mehr „The last of us“…
Definitiv! Den hatten wir vorab ja schon als Song und nicht als Video veröffentlicht und überhaupt sind wir keine Band, die unbedingt Videos machen muss…
Was aber in der heutigen YouTube Zeit schon unablässig ist…
Da gebe ich Dir Recht, aber dennoch erachten wir das eher als notwendiges Übel. „The last of us“ wollte Sony Music in Portugal unbedingt als erste Single veröffentlichen, doch für uns war „Extinct“ als Video besser geeignet. Wir wollten auch nicht, dass man von „Last…“ ableiten könnte, dass das ganze Album in dieser Art „soft“ wäre und da war dann das Video ein super Kontrast zu. Napalm standen und stehen total hinter „Extinct“ als Video und wir selber finden, dass dieser Song unser Album besser repräsentiert.
Euer Opener „Breathe (Until we are no more)“ ist eine sehr gelungen Mixtur aus Düsternis, Härte und ein wenig Progressivität. Der Song klingt nicht gerade so, als wäre er so aus dem Bauch heraus entstanden.
Das Mainriff stand schon eine ganze Weile und wir waren uns von vornherein klar darüber, dass dies wohl der Opener werden würde. Der Song an sich klingt schon etwas anders als der Rest, etwas skandinavisch…
Mir fielen da als erstes ältere Soilwork Sachen ein…
Exakt! Und genauso dachten wir auch…mal etwas anderes zu machen und wir fanden das Riff cool und dann natürlich auch den fertigen Song, der drumherum entstand. Wir haben tatsächlich bei diesem Stück etwas länger gefeilt, um ihn so hinzubekommen, wie er nun auf dem Album gelandet ist. Um ihm aber den typischen Moonspell Anstrich zu geben, haben wir dann noch das Orchester mit reingemischt, um ihn noch theatralischer zu machen und Jens hat das ebenfalls fantastisch hinbekommen. Das Orchester kommt übrigens aus der Türkei und hat auch schon zusammen mit Orphaned Land gearbeitet…es war ne tolle Zusammenarbeit.
Warum bietet Ihr auf Eurer gerade laufen eigentlich VIP Tickets an? Bei manch anderen Bands wurde da in der Vergangenheit der Ruf nach „Sellout“ laut…
Komisch, dass Du das erwähnst, aber wie dachten anfangs in Etwa auch so, denn eigentlich soll kein Fan dafür bezahlen, um mit seiner Lieblingsband nach einem Konzert abzuhängen. Deshalb haben wir spezielle Shirts, treffen uns mit den Leuten schon vor dem Konzert, lassen sie beim Soundcheck dabei sein und kümmern uns richtig um sie. Wir würden niemals jemand dafür bezahlen lassen, sich von uns seine Platten signieren zu lassen, obwohl es manchmal schwierig ist, wenn jemand mit einem Stapel von 20 Scheiben ankommt wobei ich mich immer frage, warum man die auf ein Konzert mitschleppt? Hahaha…