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EINE KLARE VISION



Ja, ich war schon immer Fan von Daniel Da Silva, denn der Tausendsassa aus Manaus am Amazonas ist ein musikalischer Hansdampf in allen Gassen und trägt nicht umsonst den Spitznamen „Daniel Duracell“. Umtriebig sei es als Promoter, als Booker oder natürlich als treibende Kraft hinter Incarceration, die erstmals 2012 auf einer Split zusammen mit Escarnium Erwähnung in der einschlägigen Presse fand. Allein debütierte man dann ein Jahr später mit der „Sacrifice“ EP, um sich danach für den ersten Longplayer "Catharsis" schlappe drei Jahre Zeit zu lassen. Doch das alles änderte nichts daran, dass die Fanszene die Band gnadenlos abfeierte. Obwohl…Band?

Das geile an Incarceration war der Umstand, dass man als Duo durch die Weltgeschichte tingelte und was früher als Ding der Unmöglichkeit galt, wurde in Sachen Death Metal nunmehr hoffähig. Michael Koch an den Drums und Daniel an der Sechssaitigen bewiesen gerade auf der Bühne, dass man nicht mehr braucht, um ordentlich Druck zu erzeugen. Von daher kam dann im letzten Jahr die überraschende Nachricht, dass man sich mit den beiden Gitarristen Capaca und Alex verstärkt habe, um fortan als Quartett die Bühnenbretter plattzuwalzen.

Dementsprechend hoch war natürlich die Neugier, wie Incarceration anno 2021 klingen würden, was die aktuelle und komplett analog aufgenommene EP „Empiricism“ nur in Teilen beantwortet. Die Band entschloss sich nämlich, auf sämtlichen modernen Schnickschnack zu verzichten und klingt auf diesem, von Daniel so selbst titulierten „Experiment“ so unfassbar roh, wie frisch aus der Keule geschnittener Schinken. Für mich selbst war das schon ein wenig gewöhnungsbedürftig, erkannte dann aber schnell, welch einen ausufernden Charme diese vier Songs besitzen. Das schrie geradezu nach einem Interview mit Bandleader Daniel…

Daniel, früher als Duo, heute als Quartett. Vom finanziellen her sicherlich ein besonderes Wagnis, musst Du doch jetzt die Einnahmen durch vier, statt durch Zwei teilen, oder?

Stimmt, daran hatte ich noch nie gedacht Olaf! Ich dachte nur an die ganze Arbeit, die durch vier statt durch zwei geteilt wird. Verdammt, Du hast Recht, die Gage wird jetzt durch vier geteilt...Aber jetzt wenn ich daran denke, es ist eigentlich das beste Argument, die Gage zu verdoppeln, oder? Ich werde sofort mit unserem Booking-Agent darüber sprechen – Problem gelöst! Haha!  

Zu welchem Zeitpunkt entstand die Idee, Incarceration nunmehr mit vier Musikern zu betreiben?

Als unser Kalender 2020 voll mit verschiedenen Festivals war und ich überlegt habe, wie wir unsere Konzerte noch intensiver machen könnten als sie es jetzt schon sind.

Wie schwer fiel Dir der Wechsel von der Gitarre an den Bass?

Gar nicht schwer, im Gegenteil! Aber ich musste natürlich Alex und Capaça helfen, damit sie die Lieder schnell und einfach lernen konnten. Das war der einzige Aufwand, aber sie sind so talentiert. Nach unserer ersten Probe waren wir schon bereit, um ein Konzert zu spielen.

Empiricism“ ist nun das erste Ergebnis von Incarceration als Quartett und entgegen allen Erwartungen komplett anders ausgefallen, als es sich so mancher vorgestellt hat. Erzähl mir doch bitte, wie Ihr auf die Idee kamt, das Teil komplett analog aufzunehmen und wie die Arbeiten dazu vonstattengingen?

Wir hatten eine klare Vision davon, wie Empiricism klingen sollte. Dann haben wir einen Plan für die Aufnahme gemacht, damit wir diese Vision realisieren konnten. Analog war übrigens nur das Mastering, der letzte Schritt. Aber es fühlt sich tatsächlich so an, als ob alles analog wäre, so organisch ist es geworden.

Wie fielen die Reaktionen der Presse und vor allem der Fans aus? Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass nicht unbedingt alle mit dem Ergebnis zufrieden waren, oder?

Empiricism ist eine Platte für Maniacs die Fans von alten extremen 80er & 90er Underground-Demo-Tapes sind. Ein sehr spezifisches Publikum. Was wir gemacht haben ist weit weg vom Mainstream. Das Gegenteil würde ich sagen. Wir dachten deswegen, dass das Feedback von der Presse sehr negativ ausfallen würde. Normalerweise empfindet die Presse solche Produktionen als ‚schlecht produziert‘, und nicht als ein künstlerisches Konzept.

Aber zum Glück sind die Kritiken super, besser als von allen anderen Platten von uns. Zu unserer Überraschung nicht nur in Bezug auf die Lieder, sondern auch die Produktion bekam viel Lob. Die Fans generell fanden die Platte mega und so wie wir können sie es kaum erwarten, diese Lieder live zu erleben. Wir haben auch weltweit viele neue Fans erreicht, die einen ähnlichen Geschmack wie wir haben, also, Fans von echter Underground-Musik. Es ist riskant, authentisch zu sein, aber es lohnt sich – wir könnten nicht zufriedener sein!

Wollt Ihr auch zukünftig diesen speziellen Weg gehen? An sich eine gute Idee, dem digitalen Wahnsinn entgegenzutreten, doch könnte das nicht auf die Dauer ebenfalls langweilig werden?

Über die Zukunft kann ich noch nicht viel sagen. Aber wir wollen nur noch authentischer werden. Echte Künstler empfinden technischen Kram nur als Instrumente, um Visionen in der Realität zu manifestieren. Diese Übung hat kein Ende und wird niemals langweilig!

Catharsis“ kam 2016 auf den Markt. Ich finde es wird Zeit für ein neues, komplettes Album. War da „Empiricism“ vielleicht ein kleiner Versuchsballon in Hinblick auf eine neue Scheibe?

Vielleicht ja, aber nicht unbedingt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wie wichtig die Alben heutzutage sind. Wir sind eine Underground-Band, ohne Vertrag mit Plattenfirmen (übrigens danke Dawnbreed Recs, Lycanthropic Chants und Misanthropic Recs für die Unterstützung und tolle Underground-Partnerschaft!). Sollen wir trotzdem Alben veröffentlichen - weil die anderen Bands es machen -, oder wäre vielleicht eine weitere 20-Minuten-EP authentischer?

Nietzsche meinte irgendwann einmal, dass er mit einer Zeile ausdrücken möchte, wofür andere Autoren ein ganzes Buch bräuchten. Damit meine ich nur, dass eine EP nicht unbedingt weniger Wert hat als ein Album, nur weil es kürzer ist. Alben zu veröffentlichen, ist für uns trotzdem nicht ausgeschlossen. Aber wie Du merkst, die Authentizität, die ein Künstler sucht, reflektiert sich nicht nur in der Kunst selbst.


Incarceration hatte als Death Metal Duo immer einen kleinen Exotenbonus. Hast Du nicht ein wenig Angst oder Bedenken, dass Ihr nun mit einer fast schon normalen 4-Mann Formation im Gros der Bands untergehen könntet?

Diese Angst habe ich überhaupt nicht! Darüber mache ich mir gar keine Sorgen, echt! Im Gegenteil, lieber Olaf, ich verspreche es Dir: die Konzerte werden jetzt doppelt so explosiver werden. Du hast uns schon Live gesehen. Versuch Dir vorzustellen, wie es anstatt mit zwei Musikern mit vier ist! Dazu sage ich noch was: ich hatte mir noch kein Gedanken über diesen Exotik-Faktor gemacht, aber wenn Du jetzt fragst, sind wir nicht nur vier Musiker, sondern eine Band mit zwei Brasilianern und zwei Deutschen. Incarceration ist jetzt exotischer denn je - Wahnsinn! Ich muss definitiv mit unserem Booking-Agent sprechen! Haha! 

Daniel, Du bist ja auch noch als Promoter, Booker und in tausendsiebenhunderteinundfünfzig weiteren Funktionen im Metal tätig. Was liegt Dir da neben Deiner Band am meisten am Herzen? Und kannst Du Dich, trotz Corona, irgendwie über Wasser halten?

Auch Manager, Roadie, Merchandiser, Video-Produzent, Grafik-Designer (kaum jemand weiß das, aber ich habe mehr als 100 Poster gemacht, und auch Vinyl, CD & Tape Layouts!), DJ, Freelancer für Underground Zines (sogar Fenriz schon interviewt!) u.v.m. Ich denke nicht oft darüber nach, aber es stimmt. Ich bin schon in ein paar verschiedenen „Funktionen im Metal tätig“ (diese Ausdruck gefällt mir - Deutsch ist so eine schöne Sprache!).

Wenn wir über Metal sprechen, liegt mir am Herzen, diese Kultur einfach zu unterstützen, egal wie. Wenn ich antworten muss, würde ich ‚Booking‘ sagen. Weil ich damit nicht nur die Bands und Veranstalter glücklich machen kann, sondern auch unendlich viele Metal-Fans weltweit, und damit verdiene ich auch noch mein Geld. Traumjob! Und ja, trotz Corona ist alles super bei mir!

Neben meiner eigene DIY-Booking-Agentur Roadmaster Booking, bin ich Vollzeit bei Dragon Productions angestellt. Wir sind ein starkes Team, während dieser Krise habe ich sehr oft darüber nachgedacht. Wir haben richtig gut durchgehalten, und Dragon ist in dieser Zeit nur gewachsen. Diese Woche ist übrigens unsere neue Website live gegangen, als eine Geste, dass wir nach vorne schauen. Jetzt, wo die Krise langsam hinter uns ist, bedeutet diese neue Website für uns so etwas wie der Start eines neuen Kapitels. Die Seite musst Du Dir bitte unbedingt anschauen: http://www.dragon-productions.com

Fun-fact: genau an dem Tag, an dem wir sie veröffentlicht haben, bin ich geimpft geworden. Das Schicksal hat einen interessanten Sinn für Humor! Als ich es merkte, habe ich gelächelt und gedacht ‚schon wieder so ein Witz, unglaublich!‘. Mit einer kontemplativen Freude, Respekt und Dankbarkeit - natürlich! 


Woher kommt eigentlich Dein riesiger und mitreißender Enthusiasmus für den Heavy Metal? War der schon in Brasilien so ausgeprägt und wurde in Deutschland noch verstärkt? Erzähl doch mal einen Schwank aus Deinem früheren Leben…

Wenn Du denkst, dass ich jetzt mit 35 enthusiastisch bezüglich Metal bin, kannst Du Dir nicht vorstellen, wie ich mit 15 in Manaus/Amazonas war! Euphorie total!

Die ersten hundert Male als ich Platten wie Beneath the Remains gehört habe, Master of Puppets, Iron Maiden Live at Donington usw. waren so magisch – jeder kennt das. Nur, dass es bei mir - dank meines älteren Bruders
- ganz früh passiert ist. Als ich 9 war, war es schon mein Traum, zumindest eine akustische Gitarre zu besitzen, um Iron Maiden nachspielen zu können. Die habe ich mit 11 bekommen, weil ich nicht aufhörte meinen Vater ständig damit zu nerven. Dann kam der Traum, eine Band zu haben, und dafür brauchte ich eine elektrische Gitarre. Derselbe Bruder sagte, wenn ich Helloween auf der Akustik-Gitarre spielen könnte, würde er mir eine elektrische Gitarre schenken. Innerhalb eine Woche habe ich es geschafft, und kurz danach, zu meinem 14. Geburtstag, bekam ich tatsächlich eine schwarze Yamaha mit einen kleinen Marshall Amp sogar (danke, Bruder)! Wahrscheinlich der glücklichste Moment meines Lebens bis dahin, und der Reisepass, um die Welt zu entdecken, durch das Musik.

Mit 14 habe ich schon fleißig handgeschriebene Briefe verschickt (send back my stamps!), mit 15 hatte ich schon Mortificy, meine Brutal Death Metal Band. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon mehr als 1000 Underground-Briefe hin und her geschrieben. Ich wollte nur Metal hören, Metal machen und darüber sprechen. Irgendwie habe ich es noch geschafft, einen Bachelor in Psychologie zu machen. Aber der Traum, die Welt des Metals zu entdecken war immer stärker. Mit 30 hatte ich schon über 50 Länder bereist. Alles durch Einladungen von der Underground-Szene. Vielleicht erklärt dies, warum Empiricism so klingt, wie es klingt. Forever Underground! 

Und zu guter Letzt, lass uns mal an Deinem Insiderwissen teilhaben. Welchen zwei bis drei bands prognostizierst Du in den nächsten Jahren DEN Durchbruch? Und was hörst Du momentan eigentlich für Scheiben?

Hmm.. ich denke an junge Bands und ich beantworte diese Frage so: heute habe ich mindestens zehn Mal das Lied „Dealin‘ Death“ von Vulture gehört. Letztes Jahr war meine Lieblings-Heavy-Metal Scheibe Bütcher – 666 Goats Carry My Chariot“. Death Metal war Black Curse. Ich trage gerade ein Spectral Voice-Shirt. Das beste Metalpunk-Konzert, dass ich jemals gesehen habe war das von Indian Nightmare im Bambi Galore, und das Rock’n’Roll Konzert, welches ich kaum erwarten kann, ist das von Asomvel! Aber meine Wette für DEN durchbruch kann natürlich nur einer Band gehören, und das weiß jeder, die ihre neue Platte schon gehört hat. Ich meine Incarceration natürlich! Haha! Cheers Olaf, long live Zephyrs Odem! Horns up! \m/ 666



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